Der gesichtslose Arbeitnehmer als Merkmal des Zeitgeistes

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Früher waren Arbeiter stolz darauf fotografiert zu werden.

Es gab sogar die Arbeiterfotografie.

Menschen und ihre Gesichter erzählten und erzählen viel über sich selbst und die Welt, in der sie leben.

Und heute?

„Was machen Sie denn da? Sie wollen mich doch nicht etwa fotografieren?“ brüllt mir aus 50 Meter Entfernung ein Mann zu, der am Rande einer Großbaustelle arbeitet, bei der ich gerade die Stützwand eines Gebäudes fotografierte.

Es war Samstag gegen Mittag und das Wetter war freundlich.

Ging es der Person um das Recht am eigenen Bild oder hatte sie eher Angst, daß etwas dokumentiert wird, was nicht gesehen werden soll?

Die Frage wird wohl offen bleiben.

Nun habe ich das Foto erst gemacht als die Person hinter dem LKW verschwunden war.

Wie man sieht, sieht man nichts außer Überresten einer eher schweren Arbeit.

Zwei Tage drauf an anderer Stelle.

Viel Lärm und Sägenlärm.

Was ist da los?

„Sie dürfen hier nicht fotografieren. Ich rufe jetzt die Polizei.“

„Ja rufen Sie die Polizei. Ich warte darauf. Ich bin hier auf einer öffentlichen Strasse und fotografiere, was hier gerade geschieht.“

„Was fällt Ihnen denn ein. Sie dürfen hier nichts fotografieren. Ich rufe die Polizei.“

„Ja rufen Sie doch endlich die Polizei.“

Dann hupten oben Autos und der LKW mußte erst einmal aufwendig die Strasse freimachen.

Daher sieht man hier auch keine Menschen sondern nur die Strasse…

fm013x
Foto: Michael Mahlke

So ist das heute.

Blickt man zurück auf die Geschichte, dann war dies früher anders.

Fakt ist, daß heute (auch die Gesichter) arbeitende(r) Menschen aus den öffentlichen Medien verschwinden.

Damit ist dies eine andere Öffentlichkeit geworden.

Und deshalb ist dies ein Artikel ohne Gesichter.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/