Gisèle Freund, Fotografische Szenen und Porträts von Janos Frecot und Gabriele Kostas

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„Wer bei Gisele Freund über Porträts spricht, spricht auch über Farben.“

So schildern Yoann Thommerel und Lorraine Audric das Archiv ihrer Fotos.

Es sind Fotos aus schwierigen Zeiten.

Sie erzählen Geschichten vom Leben und Sterben. Immer dabei Walter Benjamin.

Hnzu kommen Fotoreportagen und der Briefwechsel zwischen Walter Benjamin und Gisele Freund in Paris.

So entstand ein Buch, das Gisele Freund zeigt, ohne daß die Fotografin dazu noch etwas sagen könnte.

Janos Frecot und Gabriele Kostas betonen, daß die Auswahl der Fotos nicht nur die Porträts zeigen, sondern den Alltag der Abgebildeten, eben fotografische Szenen.

Daraus entstand ein Buch, das die Vergangenheit fast aktuell zurückholt.

Es sind bemerkenswert lebendige Fotos und man kann in dem Buch genau sehen, wie versucht wurde, verblassende Farben digital wieder hinzubekommen.

Das ist gelungen und spannend.

Das Buch liefert aber auch eine Untersuchung über die Art, wie Gisele Freund Porträts machte.

Fast immer war eine Hand zu sehen.

Interessant ist die These, daß die Fotos nicht aus einer Freude am Visuellen entstanden sind sondern aus inhaltlichen Gründen.

Wie schön, daß es das im Fotojournalismus noch gab!

„Die farbigen Nahansichten von Schriftstellern, besonders die berühmt gewordenen Porträts, die Gisele Freund um 1939 aufgenommen hat, verhindern oft durch ihre porentiefe, nicht nur den Dargestellten selbst unangenehme Genauigkeit die nötige Distanz, die uns gleichzeitig wieder anlocken würde.“

So steht es im Buch.

Enno Kaufhold untersucht in dem Buch die Rezeption und weist darauf hin, daß Gisele Freund erst 1977 in Deutschland im Rahmen einer Ausstellung mit Porträts und Fotoreportagen öffentlich zur Kenntnis genommen wurde.

Nun hat der Nicolai-Verlag dieses Buch herausgegeben und es wird die Frage erneut aufwerfen, ob es einen weiblichen Blick gibt.

Im Buch selbst wird genau dies diskutiert und mit Zitaten von Hans Georg Puttnies und Verena Lueken mit Pro und Contra versehen.

Egal ob oder ob nicht.

Das Buch eignet sich wunderbar, wenn man Menschen in einer Nähe und Lebendigkeit sehen möchte, die man sonst nur aus der Literatur kennt. Und es ist ein großartiges Buch, wenn man die Fotos von Gisele Freund im Großformat sehen möchte und Fotos sehen will, die sich verkauften

Am Ende des Buches sind auch die Fotos von Eva Peron zu sehen und die Geschichte mit den Fotos, mit der Politik und der Agentur Magnum wird so erzählt wie wir sie noch nicht kannten.

Die vielen Autorinnen und Autoren liefern viele verschiedene Ansichten und insgesamt ein Puzzle zu Leben, Werk und Wirken einer Frau und Fotografin, die die Reproduzierbarkeit der Fotografie auch als Broterwerb hatte.

Ein spannendes, umfassendes und gut gemachtes Buch aus dem Nicolai-Verlag.

Janos Frecot, Gabriele Kostas (Hg.)
Gisèle Freund
Fotografische Szenen und Porträts
224 Seiten, 22 x 27 cm
175 farbige und Duotone-Abbildungen
gebunden
ISBN 978-3-89479-848-2

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/